Tour durchs weiße Paradies
Schneebedeckte Berggipfel, wildromantische Natur und schier endlose Weiten: Österreichs ältester und größter Nationalpark bietet Auszeiten vom Alltag und Begegnungen der besonderen Art.
Schneebedeckte Berggipfel, wildromantische Natur und schier endlose Weiten: Österreichs ältester und größter Nationalpark bietet Auszeiten vom Alltag und Begegnungen der besonderen Art.
Nichts berührt uns wie das Unberührte.“ Nach diesem Motto lebt man im Nationalpark Hohe Tauern seit Jahrzehnten. In einem der größten Schutzgebiete Europas wird der Natur Raum und Zeit gegeben. Aber auch der Mensch findet in der Abgeschiedenheit der Gipfelwelt rund um den Großglockner Entschleunigung. Es ist der erste Sonnenstrahl des Tages, der mich frühmorgens aus dem Traumland holt. Ich bin im Naturhotel Outside in Matrei in Osttirol untergebracht. Hier wird das Thema Nachhaltigkeit umfassend umgesetzt. Das merke ich bereits beim Frühstücksbuffet, wo mich regionale Osttiroler Spezialitäten dazu verleiten, meinen Teller voller zu füllen als nötig.
Aber es ist ja ohnehin gleich jede Menge Bewegung angesagt – und fürs Wandern will man schließlich gut gestärkt sein. Stark sein heißt es dann tatsächlich eine Stunde später für meine Oberschenkel- muskulatur bei den ersten steilen Schritten bergauf.
Wir befinden uns auf 1.920 Metern Seehöhe in der Nähe des Lucknerhauses am Ende der Kalser Glocknerstraße. Über mir der strahlendblaue Himmel, um mich die raue Schönheit der winterlichen Bergnatur, unter mir der in der Sonne glitzernde Schnee. Meine Füße stecken in schicken hellblauen Schneeschuhen, die ich zuvor von Simon Zeiner ausgehändigt bekommen habe. Er ist einer von 13 Rangern des Nationalparks Hohe Tauern und in dieser Funktion quasi ein „Mittler“ zwischen Mensch und Natur. „Ranger bedeutet ursprünglich ‚Hüter des Lebensraumes‘, im Lauf der Jahre ist neben anderen aber vor allem die Funktion des Wissensvermittlers dazugekommen“, er- klärt der Mitte-20-Jährige. Seit 2010 gibt es eine österreichweit gültige und zertifizierte Ausbildung zum Nationalpark-Ranger. Die Absolventen müssen neben ausreichend Wander- und Bergerfahrung über ein spezielles naturkundliches Wissen verfügen.
Von diesem Wissen darf ich gleich profitieren: Simon bleibt stehen, packt sein Spektiv aus und zeigt mir ein auf einem steilen Felsvorsprung sitzendes Rudel Steinböcke. Mit freiem Auge kaum zu erkennen, hätte ich die Tiere in der Felswand niemals entdeckt. „Gewusst wo und gewusst wie“, lacht Simon. Seinem geschulten Auge entgeht so gut wie nichts. Das beweist er wenige Schritte später, als er mit dem Finger nach oben zeigt und mich auf einen Bartgeier, den größten Greifvogel der Ostalpen, aufmerksam macht. Stolz deute auch ich nach oben und bete innerlich inständig, dass der zweite schwarze Fleck am Himmel ebenfalls die Silhouette eines Bartgeiers ist – oder zumindest die eines Vogels und nicht eines Flugzeugs. Gott sei Dank gibt mir der Ranger recht, es ist ein Bartgeier-Pärchen, das da oben seine Kreise zieht. Puh, Glück gehabt.
Bartgeier können eine Flügelspannweite von bis zu 2,9 Metern erreichen. Sie sind Aas- und Knochenfresser und somit quasi die „Resteverwerter“ der anderen Tiere. Zudem gehören sie zu den Big Five der Hohen Tauern: Bartgeier, Steinbock, Gämse, Steinadler und Murmeltier. Wobei Letzteres den Winter lieber in der Horizontalen verbringt. „Murmeltiere fressen sich im Sommer genug Reserven an, um dann die kalte Jahreszeit fast komplett zu verschlafen. Sie unterbrechen ihren Schlaf nur, um sich zu erleichtern. Dafür haben sie in ihrem Bau eine extra Kloecke. Da sie sich aber nach wie vor im Ruhemodus befinden und ihren Kreislauf nur minimal hochfahren, kann so ein Toilettengang bis zu drei Stunden dauern.“
Ganz anders sieht es da bei den Gämsen und Steinböcken aus. Die tagaktiven Tiere ziehen in Rudeln umher, wobei die älteren Böcke Einzelgänger sind. Wie sich die Steinböcke selbst in nahezu senkrechten Felswänden fortbe- wegen können, zeigt mir Simon anhand eines ausgestopften Steinbock-Hufes. „Die Hufkanten sind aus hartem Horn und ihre zwei Zehen beweglich. So können sie sich in den Stein einhaken und festhalten. Das funktioniert selbst an den schmalsten Kanten. Dass ihre Hinterbeine länger als ihre Vorderbeine sind, erleichtert ihnen das Klettern zusätzlich.“
Am Rückweg unserer Nature Watch Tour zu unserem Ausgangspunkt lässt die umgebende erholsame Stille ein in der Hektik des Alltags vergessenes Lebensgefühl in mir erwachen: die Verbundenheit mit der ursprünglichen Natur und Magie des Moments. Faszinierend, wie viel wenig sein kann.
Im Nationalpark Hohe Tauern folgt die Natur eigenen Spielregeln. Sie kann sich weitgehend ungestört entfalten, bietet gleichzeitig aber auch Erholungsräume sowie Stätten der Forschung und Umweltbildung. Das Gebiet erstreckt sich auf einer Fläche von 1.856 Quadratkilometern über die Bundesländer Tirol, Salzburg und Kärnten. Hier wachsen 3.500 Pflanzenarten, das Wanderwegenetz führt 1.200 Kilometer durch Wälder, über Almen, an Seen und Mooren vorbei und ist sommers wie winters eine spannende Entdeckungsreise.
So eine Tour macht definitiv hungrig! Und da sich die Natur in der Nationalpark-Region nicht nur sehen, riechen und fühlen lässt, möchte ich sie mir jetzt auch schmecken lassen. Die auf 1.777 Metern gelegene Figolalm ist dafür mein Ziel. Hier bringt Besitzerin Katrin Polentz ordentlich Schwung in die Bude. Mit viel Elan rührt sie auch die original Osttiroler Graukassuppe um, bevor sie sich mit einer Holzplatte voller Köstlichkeiten zu mir gesellt. Katrin hat die Almhütte 2014 von ihren Eltern übernommen und sie seitdem immer weiter ausgebaut und modernisiert.
Auf den Tisch kommen fast ausschließlich regionale Produkte. Die Spezialität der Hütte ist Apfel-Gin – heißer Apfelsaft mit Osttiroler Gin. „Ich habe die Figolalm bewusst zeitlos gestaltet, jeder soll sich wohlfühlen. Nach diesem Credo ist auch ihr neuestes Projekt namens Collis Hill entstanden. Ein Beherbergungsbetrieb mit insgesamt 31 Betten im Baustil ‚Ticha‘ – einer Mischung aus Tipi und Chalet. Ich wollte etwas Neues, Innovatives schaffen. In jedem Ticha haben vier bis sechs Personen Platz. Das ganze Projekt ist auf Nachhaltigkeit ausgerichtet, im Sinn des Nationalpark-Gedankens“, erzählt Katrin voller Begeisterung.
Das Thema Nachhaltigkeit zieht sich wie ein roter Faden durch die gesamte Region. Auch für Ziegenbauer Philipp Jans hat es große Bedeutung. Er liefert wöchentlich frische Produkte auf die Figolalm. „Schon als Kind habe ich auf einem Bauernhof mit- geholfen. Mit zehn Jahren habe ich dann um damals 2.200 Schilling meine erste Ziege gekauft. Seitdem bin ich Ziegenbauer aus Leidenschaft“, berichtet Philipp.
Sein Figerhof liegt auf 1.300 Metern Höhe und wird als Voller- werbsbetrieb bewirtschaftet. Die Milch der 300 Saanenziegen wird unter anderem direkt in der eigenen Hofkäserei verarbeitet. „Wir sind sehr stolz, dass viele unserer Erzeugnisse zertifizierte Regionsprodukte des Nationalparks Hohe Tauern sind. Das bedeutet, dass wir auf umweltbewusste Produktionsprozesse achten.“ Beliebter Klassiker aus der Produktpalette von Philipp sind die preisgekrönten „Glocknerkugeln“ – in Gewürzen gerollte und in Öl eingelegte Frischkäsebällchen, die ich natürlich gleich probieren muss.
Wer viel verkostet, muss auch ein wenig aktiv sein. Am nächsten Tag geht es zu einer weiteren interessanten Schneeschuh-Tour, diesmal im hintersten Defereggental, bei der wir zwar nicht auf Bartgeier, dafür auf die eine oder andere Fuchsfährte treffen. Und danach ab auf die Piste! Nicht mit den Skiern, sondern mit der Rodel. Diese muss vor dem Spaß zu Fuß die Bahn hinauf- gezogen werden. Nach gemütlichen 30 Minuten, belohnt mit freiem Blick auf die Bergwelt des Panargenkamms, ist es geschafft. Doch was wäre ein Rodelausflug ohne Einkehr in einer urigen Hütte? Ein Abstecher in die Alpe Stalle zu Hüttenwirt Bruno Gasser muss sein, denn Authentizität zeigt sich nicht nur in den einzigartigen Landschaften Osttirols, sondern auch in den Menschen, die hier wohnen. Bruno ist quasi Wirt der ersten Stunde und bekocht seine Gäste aus Passion. Und schon steht ein Teller köstlich duftender, heißer Osttiroler Schlipfkrapfen vor mir – mit Kartoffeln und Kräutern gefüllte Teigtaschen. Wahrlich ein Gedicht!
Nach einer herzlichen Verabschiedung geht es hinaus in die Dunkelheit. Der Mond hat mit der Sonne Platz getauscht und leuchtet wie ein Scheinwerfer die Rodelbahn aus. Spot on! Und ab geht’s auf zwei Kufen den Berg hinab. Am Ende fühlt man sich energiegeladen, entspannt und vor allem eines: endlich ANGEKOMMEN!
Weitere Informationen unter www.hohetauern.at
NATURHOTEL OUTSIDE
Eingebettet in die gigantische Bergwelt Osttirols, liegt das familiengeführte Naturhotel „mitten im Draußen“. Man logiert in großen, lichtdurchfluteten räumen mit fußwarmen Holzböden und hervorragendem raumklima. Kulinarisch verwöhnt die Familie Ganzer im hoteleigenen Haubenrestaurant mit regionaler und saisona- ler Gourmetküche. www.hotel-outside.com
TAURER WIRT
Hier verwöhnt Küchenchef Sigi die Gäste mit fangfrischen Forellen und Saiblingen aus dem eigenen Teich, mit Wild aus dem Kalser Jagdrevier sowie Fleisch und Milchprodukten von den Kalser Bauern. Ein idealer Ort, um nach einem anstrengenden Wandertag neue Kraft zu schöpfen.www.taurerwirt.at
ALTE PFADE
Einst nutzten sie Schmuggler und Wilderer, aber auch gläubige Menschen aus dem Defereggental, welche ihre im Winter Verstorbenen nach Virgen zu Grabe trugen. Die alten Pfade über den lasörlingkamm beeindrucken durch eine besondere landschaftliche schönheit mit erhabenen Panoramablicken auf die vergletscherten Gipfel der Umgebung.
NATURE WATCH TOUR MIT RANGER
Geführte touren durch die glitzernde Winterlandschaft des Nationalparks Hohe tauern bieten die Möglichkeit, abseits vom Alltagsstress Kraft und lebensfreude zu tanken. Die Nationalparkranger überzeugen mit spezialwissen in naturkundlichen Bereichen und wissen durch ihre jahrelange Erfahrung und Gebietskenntnisse um die Besonderheiten und Highlights des alpinen Nationalparks. www.hohetauern.at/de/besuchen/tourenangebote
SONNENUNTERGANGSWANDERUNG MIT SCHNEESCHUHEN
Ein traumhafter Wintertag könnte nicht schöner enden: Der Nationalpark Hohe tauern leuchtet im licht der Abend- sonne, welche hinter den tief verschneiten Gipfeln versinkt. Während der strahlende sternenhimmel zum Vorschein kommt, erzählt ein ranger spannendes über die Überlebensstrategien von Gams, Fuchs und schneehase im Winter. www.hohetauern.at/de/besuchen/tourenangebote