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Das Pobednik-Denkmal und die Belgrader Festung bei Sonnenuntergang. © Shutterstock

Mein Belgrad

Wie keine andere Stadt am Balkan vereint die serbische Metropole Sinnlichkeit, Lebensfreude und Kultur. Ida Salamon ist hier groß geworden und erzählt von einem faszinierenden Mikrokosmos. 

Meine Freundin Jovana, eine Psychologiestudentin, treffe ich auf dem Markt Zeleni Venac mit seiner markanten Halle. Einst das Zentrum eines ruhigen, noblen Stadtteils, liegt er heute an einer  viel befahrenen Straße, die Alt- und Neubelgrad verbindet. Jovana sucht reife Marillen für die hausgemachte Marme­lade ihrer Mutter, ich hingegen bin von den raren weißen Kirschen angezogen. 

Jovana entstammt einer alteingesessenen Belgrader Familie. Sogar eine Straße ist nach einem ihrer Vorfahren benannt. Die Pop Lukina. „Er war ein Priester und hat im Ersten Serbischen Aufstand gegen die Osmanen die Unabhängigkeit Serbiens erkämpft“, verrät sie. Wie ihren Ahnen liegt auch Jovana die christliche Tradition am Herzen – besonders das alte serbisch-orthodoxe Fest Slava zu Ehren des Familienschutzheiligen. „Dabei geht es oft mit viel Essen und Trinken ums Zelebrieren enger Familienbande. Heute ist das Fest immaterielles UNESCO-Kulturerbe.“ Diesen Brauch kann man außerhalb der eigenen vier Wände etwa jeden Sonntag in der Residenz der Fürstin Ljubica feiern, die im Stile der balkanischen profanen Architektur gebaut wurde. 

Wir genießen dort im edlen Ambiente ein traditionelles, süßes Slava-Gericht aus Weizen und Walnüssen. Ein kleines Gläschen Sliwowitz darf nicht fehlen. „Der Pflaumenschnaps ist unverzichtbarer Teil der serbischen Gastfreundschaft.“ Davon ist Jovana überzeugt. Bei einer Führung durch die Residenz staunen wir über die Noblesse der Salons und die Gemütlichkeit des osmanischen Hamam. 

Edles Ambiente 

Die Residenz ist ein architektonisches ­Juwel des Viertels Kosančićev Venac, wo sich in der Nähe die Flüsse Save und ­Donau vereinen. Die verschiedenen Baustile, sie reichen von Neorenaissance und Neoklassizismus bis zum serbisch-byzantinischen Stil, verraten viel über die Entwicklung der Altstadt. 

Das kleine Viertel ist typisch für ganz ­Belgrad. Drei Weltreligionen – Christentum, Judentum und der Islam – haben es nachhaltig geprägt. Der serbisch-orthodoxe Dom Saborna crkva wurde ein Wahrzeichen der Stadt. In der Mitte der Kralja Petra befindet sich heute das ­Jüdische Gemeindezentrum, aus dessen Fenstern man das Minarett der Bajrakli-Moschee sehen kann. 

Wir flanieren in der Kralja Petra am ältesten Belgrader Café vorbei – dem Kafana „?“. Dort wird Kaffee noch nach altem Brauch mit der orientalischen Süßspeise Lokum serviert. 

Wenige Meter entfernt bewundern wir das Jugendstil-Gebäude des ehemaligen Waren-Magazins, in dem ein beliebtes Kaffeehaus untergebracht ist. Inspiriert von der ausgelassenen Stimmung dort sagt Jovana beim Abschied: „Ob Tag oder Nacht, wir Belgrader wissen, wie man eine gute Zeit verbringt.“

Die magische Festung 

In der nahen Knez Mihailova tauche ich in die Menschenmasse ein. Es ist nicht zu übersehen, dass sich das Leben am ­Balkan auf der Straße abspielt. Hier wird getratscht, gelacht und geweint. Hier herrschen Sehen und Gesehenwerden. Die Belgrader Fußgängerzone war einst Teil der römischen Hauptstraße Cardo. Sie führt mich zum Kalemegdan, dem größten Park der Stadt. Die imposanten Tore und Türme der Festung zeugen von den osmanischen und österreichischen Eroberungen. Auf Schritt und Tritt begegnet man dort der wechselvollen Geschichte Serbiens. 

Faszinierender Ausblick

Ahorn, Eichen und Buchen säumen die Allee zur monumentalen Großen Treppe. Mein Blick schweift von den Festungsmauern über die Mündung der Save in die Donau und den angrenzenden Urwald, und dabei empfinde ich durch die Weite des Ausblicks das Gefühl von unbegrenzter Freiheit. 

In der Nähe am Plateau, wo sich einst die mittelalterliche serbische Stadt befand und heute das Wahrzeichen Belgrads, der Sieger, steht, kann man oft wunderschöne Sonnenuntergänge genießen. Darüber schrieb auch der Literaturnobelpreis­träger Ivo Andrić: „Im Herbst und im Sommer sind sie eindrucksvoll und glühend wie Visionen in der Wüste und im Winter gedämpft durch bleierne Wolken und rötliche Nebel.“

Mediterranes Flair

Im engen Umkreis der Festung gibt es weitere Sehenswürdigkeiten wie den Römerbrunnen, die Türbe (Mausoleum) von ­Damat Ali Pasha, eines der besterhaltenen orientalischen Denkmäler Belgrads, und einen mysteriösen Militärbunker. 

Fast mediterranes Flair verströmen die Höfe der aus Steinen gebauten Kirchen Ružica und Heilige Petka. Sie liegen im Schatten von Kieferbäumen und sind umgeben von einem duftenden Rosengarten. Bevor ich die Festung verlasse, mache ich noch Halt in einem Terrassenrestaurant mit Blick auf den Belgrader Zoo. Von dort beobachte ich die prächtigen, sich in der Sonne rekelnden Raubkatzen. Doch um seinen bekanntesten Einwohner Muja, den ältesten in einem
Zoo lebenden Alligator, zu sehen, müsste ich den Tiergarten ­besuchen.

Das mondäne Dorćol 

Das hügelige Viertel Dorćol ist untrennbar mit Belgrads Juden verbunden. Viele lebten hier in bürgerlichen, kleinen Villen mit begrünten Innenhöfen und in harmonischer Beziehung zu ihren serbischen Nachbarn. Als die Nazis die Stadt eroberten, wurden 90 Prozent der jüdischen Bevölkerung ermordet und Belgrad als „judenfrei“ erklärt. Die wenigen überlebenden Juden bauten nach dem Krieg wieder eine kleine Gemeinde auf. In der einzig verbliebenen Synagoge der Altstadt sind vor allem an den jüdischen Feiertagen sefardische Musik und Ladino, die Sprache der Juden von der Iberischen Halbinsel, zu hören. 

Zauberhafte Skadarlija

Aufgewachsen in diesem einst ruhigen Viertel, trinke ich dort gerne einen Cappuccino in einem der modernen Cafés in der Strahinjića Bana, einem Hotspot für junge Menschen. Am Ende dieser Straße liegt die Skadarlija, ein Bohème-Viertel. Wer dort schlecht gelaunt ankommt, wird es in bester Stimmung wieder verlassen. In den Tavernen scheint die Zeit stehen geblieben zu sein, die Bands spielen bis zum Morgen traditionelle serbische Lieder, romantische Walzer und alles, was die Herzen der mitsingenden Gäste begehren. Bekannte Schriftsteller, Schauspieler und Künstler kommen gerne hierher und verleihen diesem Ort zusätzlichen Glanz. Und was wäre die Skadarlija ohne den verführerischen Duft der bekannten Köstlichkeiten, wie Ćevapčići, Sarma, Kajmak und Proja, der mir aus den urigen Gasthäusern entgegenströmt und zum Verweilen einlädt. Der Abschied von hier fällt mir jedes Mal ebenso schwer, wie jener von der einzigartigen, von vibrierendem Leben erfüllten Metropole.

Ida Salamon

Die Wiener Autorin ist gebürtige Belgraderin und gern in ihrer alten Heimat. „Seine sowohl dramatische als auch heldenhafte Geschichte ist ein unzertrennlicher Teil von mir. Auch die Freuden, die ich dort jeden Tag erleben darf, möchte ich nicht missen: den Duft der Linden, die Weite des Ausblicks von der Festung aus und meine ein halbes Jahrhundert bestehenden Freundschaften“, schwärmt sie.