Haben Sie Lieblingsplätze in Venedig? Wenn man von der Lektüre inspiriert dorthin reisen möchte, was sollte man sich zuerst gönnen?
Gehen Sie mit Margherita durch die Stadt! Alles ist unverändert, Sie finden jede Trattoria wieder, jedes Café, jeden Ausblick auf den Canal Grande, jeden Winkel in der sonnigen, einstmals als armes Hafendock verpönten und heute doch so gefragten Südküste des Dorsoduro, wohin sie sich, nach dem Tod ihres Mannes verarmt, zurückziehen muss. Doch entdecken Sie auch das Hinterland unseres Lagunenarchipels, wie Margherita es tat. Venedig hat alle Chancen, den fatalen Massentourismus abzulegen und erneut zum weltweit begehrten kreativen Schmelztiegel, zur Modellstadt der Langsamkeit zu werden, denn die Lagune hat diese Renaissance in den vergangenen Jahren schon gelebt. Agritourismus ist das gefragte Konzept und jede kleinste Insel unserer weiten Wasserlandschaft ist heute darin eingebunden. Man erreicht die Fischtrattorien, die Wein- und Gemüsegärten mit dem Ruderboot oder mit dem Vaporetto. Fahren Sie zu Tiepolo oder Zanella nach Treporti, einem verschlafenen Dörfchen in der nördlichen Lagune. Fahren Sie zur Favorita auf den Lido, zur Trattoria al Ponte di Borgo nach Malamocco, zu Da Romano auf die Fischerinsel Burano. Für einen Tag zwischen windigen Dünen und blühenden Marchwiesen brauchen Sie wenig Geld. Sie brauchen nur Zeit. Und die ist geschenkt.
Haben Sie ein paar Geheimtipps für Menschen, die Venedig zum ersten Mal besuchen?
Ermessen Sie die Proportionen des beinahe menschenleeren Markusplatzes, grüßen Sie die Stadtheiligen San Teodoro und San Marco auf ihren Säulen vor dem Markusbecken und lassen Sie den Blick übers Wasser auf Palladios Kloster San Giorgio schweifen. Wie groß ist diese Stadt, wie perfekt nach Sonne, Winden und Gezeiten dimensioniert, wie genau nach Menschenmaß und der heilsamen Mischung aus Erfindergeist und Kommunikation gemacht! Dann: Spazieren Sie über den Stefansplatz und die Akademiebrücke auf unseren Dorsoduro. Die ehemaligen Hafendocks, auf der Sonnenseite Venedigs gelegen und demnach einst „nicht schick“, sind heute das Herz der Stadt. „La Calcina“, die Pension der Dichter und Künstler, zählte schon Lord Byron, John Ruskin, Eugenia Errázuriz oder Jean-Michel Frank zu ihren Gästen. Hier erwachen Sie mit Blick auf Palladios Kirche Redentore, hier dinieren Sie direkt am Kanal Giudecca. Der schönste Spaziergang der Stadt führt Sie rund um die Punta della Dogana, Sie flanieren an der einzigartigen Wohn-Galerie der Peggy Guggenheim vorbei zur Kunstsammlung Pinault, der gelungensten Architektur-Revitalisierung der letzten Jahre. Der japanische Pritzker-Preisträger Tadao Ando hat die historischen Zollhallen als Ort der Kunst und der Begegnung inszeniert und verneigt sich in jedem Detail vor seinem großen Vorbild, dem venezianischen Meisterarchitekten der 1960er-Jahre, Carlo Scarpa. Nach diesem Besuch umrunden Sie die Spitze des Zollgebäudes und verstehen, wie sich diese Stadt in 1.500 Jahren von Osten nach Westen Meter um Meter auf den Sandinseln der Lagune erbaut hat.
Ganz allgemein: Was ist Ihnen beim Reisen wichtig und was sind Ihre liebsten Reiseziele?
Authentizität, Freundlichkeit, die Kunst des Weglassens. Mein bisheriges Leben war ein Entwicklungsroman, wie ein Wanderlehrling erlernte ich mein Architektenhandwerk zunächst in meinem Heimatland Deutschland, dann in Südamerika, Nordamerika, Italien und schließlich in Österreich und Skandinavien. Meine Lehrberufungen führten mich aus Venedig nach Berlin, Stockholm und Paris. Meine liebsten Reiseziele heute? Mein kleines Gartenhaus in Venedig, mein alter Bauernhof in Kärnten. Hier finde ich zu mir, zu meinen Romanfiguren. Und meine Kinder sagen: „Am glücklichsten ist sie beim Schreiben.“
Marghertia von Jana Revedin
- Roman
- Gebunden mit Schutzumschlag, 304 Seiten
- Aufbau Verlag
- ISBN: 978-3-351-03830-4
- 22,00 Euro